Die Bücherpiraten – mehr als nur ein Hobby
Es ist ruhig. Irgendwo hinter den Vorhängen der Bühne raschelt es, weil jemand eine Seite umblättert. Kinder sitzen im Raum verteilt. Ein paar sind an ihren Plätzen geblieben und direkt in ihre Bücher abgetaucht. Andere sind mit Kissen und Decken ausgerüstet an die nächste Heizung gezogen, um in aller Gemütlichkeit zu Schmökern. Nach einer Weile steht jemand vor dem alten Koffer in der Mitte, um sich für eine der Aufgaben zu entscheiden. Mit einer Mal-Aufgabe zurück in der Ecke fängt die Kreativität an. Eins nach dem anderen kommen die Kinder zwischen den Buchseiten hervor um Okapis zu malen, die Evolution zu googeln oder ein Piratenschiff zu improvisieren. Der Dachboden wird nach Holzplanken durchsucht, das Internet nach Affenbildern und die Bücher nach der Antwort für das Rätsel des Tages. Nachdem Bilder von angelnden Piraten gemacht sind, setzen wir uns zurück in den Kreis. Es werden neu gefundene Lieblingswörter ausgetauscht und die Ergebnisse des Tages präsentiert, bevor wir wieder eine Woche bis zum nächsten Mal warten müssen.
Verschiedene Gruppen für Kinder treffen sich regelmäßig
Was Julia, 20, FSJlerin und ehemaliges Mitglied zahlreicher Gruppen der Bücherpiraten hier beschreibt, ist eine Szene aus den Gruppentreffen der Schmökerbande. Immer Donnerstags trifft sich die Bande nachmittags und liest gemeinsam das nächste Kapitel eines Buchs, das sie vorher zusammen ausgewählt haben – zuletzt war das „9 Tage mit Okapi“. Die Schmökerbande ist eine der Gruppen, die Kinder bei den Bücherpiraten besuchen können. Wer lieber schreibt als zu lesen, kommt zu den Geschichtenmachern oder dem Fundbüro der Wörter, wo sich Kinder treffen, die gerne Geschichten schreiben oder sich kreative neue Wörter ausdenken und ihre Wortschöpfungen bebildern. Beim Club der wundersamen Vorleser suchen sich die Clubmitglieder Bilderbücher aus, aus denen sie dann mehrere Wochen lang eine Lesung für ein noch jüngeres Publikum proben – mit Geräuschen, Musik und gemeinsamen Malen im Anschluss. Wem das noch nicht reicht, der kann Autorenentdecker*in werden. Das ist die Kinderjury der Bücherpiraten und sie verleiht jährlich den goldenen Bücherpiraten an Nachwuchsautor*innen im Bereich Kinderbuch. Kinder, die die Kindergruppen der Bücherpiraten besuchen, bleiben häufig. Das Kinder- und Jugendliteraurhaus in Lübecks Innenstadt ist nämlich nicht nur der Veranstaltungsort für Kinder- und Jugendgruppen, sondern auch das erweiterte Wohnzimmer und Treffpunkt der Teilnehmer*innen. So wächst man vielleicht aus den Kindergruppen heraus, aber kann dafür dann an den unterschiedlichen Jugendgruppen teilnehmen.
Angebote für Jugendliche
Kassey, 18, Teilnehmerin bei den Jugendbuchtagen und den Didimadadas beschreibt das so:
Wenn man dann etwas älter wird, beschäftigt man sich vor allem auch damit, Geschichten, die einen selbst beschäftigen mit anderen zu teilen. In welcher Form man das tut, bleibt einem natürlich selbst überlassen. Zum Beispiel gibt es Jugendliche, die ein Literaturfestival wie die Lübecker Jugendbuchtage mit anderen Jugendlichen zusammen organisieren möchten. Auch für die, die ihre eigenen Geschichten schreiben und mit der Welt teilen möchten, gibt es bei den Bücherpiraten Gruppen. Es gibt die Autorengruppe, in der sich Autor*innen zwischen 14 und 19 Jahren gegenseitig ihre Geschichten vorlesen, das Schreib-Camp, wo 13-19-jährige ungestört schreiben können, die Slammerlämmer, eine U20 Gruppe für Poetry-Slammer, die auch fünfmal im Jahr Slam-Abende veranstaltet, und die Straßenpoesie-Gruppe für 12-19-jährige Poet*innen, die Lübecks Straßen mit ihrer anonymen Poesie verschönern wollen. Und wer gern online seine Meinungen über Bücher mit der Welt teilen möchte, der kann das über das Onlineliteraturmagazin „die Blaue Seite“ tun. Und bei den Didimadadas können alle – Kinder und Jugendliche – alles mitentscheiden, was im Haus so passiert.
Was Lesen für sie bedeutet, beschreibt Kassey so:
Zu Lesen ist eine bewusste Entscheidung, man entscheidet sich, nicht einen Film oder eine Serie zu sehen, und auch nicht ein Hörbuch oder ein Hörspiel zu hören. Denn es ist ein Unterschied, ob man eine Geschichte liest oder sieht oder hört. Wenn ich lese, dann tauche ich bewusster in die Geschichte ein und entscheide selbst, wie intensiv ich mich damit befasse, wie viele Pausen ich beim Lesen mache. Ich bestimme selbst das Tempo, in dem die Geschichte mir erzählt wird. Manche Bücher habe ich nach wenigen Stunden durchgelesen, für andere brauche ich Ewigkeiten, weil ich nach jedem Kapitel eine Pause einlege, um über das Gelesene nachzudenken. Dadurch können mir Bücher viel näher gehen, als manche Filme, die ich quasi nebenbei ansehe. Die Charaktere werden zu Freunden, und helfen, wenn man sie versteht, auch die Welt besser zu verstehen, sich in Menschen hineinzuversetzen und mehr nachzudenken, bevor man etwas tut.
Auch Theo, 17, ist schon lange Mitglied bei der blauen Seite, der Autorengruppe und den Jugendbuchtagen. Er beschreibt zwei seiner Lieblingserinnerungen bei den Bücherpiraten:
Die Möglichkeiten sind riesig und nicht selten schafft man in den Gruppen Großes, was vorher wie ein Traum schien. Plötzlich bekommt man zum Beispiel die Möglichkeit, die weltweit renommierte Autorin Cornelia Funke mit der Blauen Seite zu interviewen, wird nach Hamburg in ein schickes Hotel eingeladen und kann fragen, was einen schon immer interessiert hat. Obwohl ihr Terminkalender eng gestrickt ist, und in der Hotellobby die Nächsten warten, nimmt sie sich am Ende des Interviews, voller intimer Einblicke in sich und ihr Schaffen, noch die Zeit, einmal schnell in ihr Zimmer zu laufen, um allen aus dem Team ein signiertes Buch mit individueller Illustration zu schenken. Ein wirklich besonderes Erlebnis.
Und nicht nur moderne Literatur ist bei den Bücherpiraten Thema, sondern auch den Werken vergangener Autor*innen wird sich leidenschaftlich gewidmet. Die größte Hommage an die ältere Literatur waren wohl bis jetzt die Klassiker-Slams im Rahmen der Jugendbuchtage. Hier battlen sich die Jugendlichen in Kleidung, mit den Texten und dem Charakter der vergangenen Persönlichkeit gegeneinander in drei Runden um den/die Comeback-Autor*in des Jahres zu küren. Moderiert bis jetzt zweimal von Platon und einmal von Pythagoras höchstpersönlich! In der ersten Runde dieser Fusion aus Satirik und tränenerweckenden Poesie treten zwei der literarischen Größen in eine Aphorismen-Schlacht an und werfen sich ohne Rücksicht mächtige Sätze um die Ohren. Das Publikum entscheidet durch Lautstärkepegel, wer der beiden in die nächste Runde einziehen darf, um mit einem längeren Text für einen Einzug in das Finale zu kämpfen.
Mehr Infos unter www.buecherpiraten.de
Autor*innen: Julia, Kassey und Theo