Grundbedürfnisse sehen – Die beste Langzeitstrategie für mehr Familienglück

Stellen Sie sich vor Sie treffen bei einem Waldspaziergang mit der Familie eine Fee. Neben der Freude kommen natürlich auch Bedenken und so halten Sie 1,50m Abstand. Die Fee fragt Sie, was Sie sich wünschen. Viele Eltern würden dieser Tage sagen:

„Dass diese verdammte Pandemie endlich vorbei ist, ich kann nicht mehr!“

Denn viele Eltern spüren gerade, wie verletzlich Familie ist und wie sehr Sie Kita und Schule brauchen. Was Eltern gerade leisten, lässt sich schwer in Worte fassen. Ich als Vater eines Sohnes spüre selbst die außerordentliche Belastung. Als pädagogischer Berater habe ich in den letzten Jahren beobachten können, wie Eltern Krisenzeiten meistern konnten. Was dabei enorm helfen kann, ist der Blick auf die eigenen Grundbedürfnisse und die der Kinder. Denn wenn menschliche Grundbedürfnisse erfüllt werden, sind wir widerstandsfähiger und flexibler im Umgang mit Herausforderungen. Aus der Psychologie kennen wir 4 Grundbedürfnisse, die alle Menschen haben. Diese heißen: 

  • Selbstwert 
  • Orientierung/Kontrolle 
  • Lustgewinn/Unlustvermeidung 
  • Bindung

Lassen sie mich ein Beispiel für die 4 Grundbedürfnisse anführen. Wenn ein 7-jähriges Kind gerade nicht gut beim Homeschooling mitkommt, leidet sein Selbstwert darunter. Je länger das geht, desto mehr hat es das Gefühl, die Kontrolle über die Situation zu verlieren. Die Folgen können weniger Lust auf Schule und eine Verweigerungshaltung gegenüber den Eltern sein. Um aus dieser Situation gut herauszukommen und das Kind langfristig zu stärken, lohnt es sich genauer auf die 4 Grundbedürfnisse zu schauen.

Selbstwert stärken

Um unseren Selbstwert ist es im Moment nicht gut bestellt. Was können wir gut?  Was macht uns aus? Was hat uns bisher stark gemacht und wo bleiben die Erfolgserlebnisse? Alle diese Fragen stehen für Familien gerade im Raum und sind nicht auf die Schnelle zu beantworten. Haben Sie längere Zeit das Gefühl, weniger wirksam zu sein, beschleicht Sie auch zunehmend das Gefühl, weniger wert zu sein.  Eine Möglichkeit, dies zu ändern ist: verzeihen Sie sich und Ihrem Kind. Das nimmt Druck raus. Um den Selbstwert ihres Kindes im Gesamten zu steigern, ist eine wohlwollende, wertschätzende und anerkennende Haltung wichtig. Wichtig ist auch zu wissen, der Selbstwert ergibt sich aus den Erfahrungen ihres Kindes in unterschiedlichen Lebensbereichen. So kann ihr Kind Torschützenkönigin im Fußballverein sein, jedoch beim Thema Mathe regelmäßig den Angstschweiß auf der Stirn haben. Ich selber habe erlebt, dass ein junges Mädchen mit 13 Jahren so starke Schulangst hatte, dass sie nicht mehr den Unterricht besuchen konnte. Ihre Eltern waren eine große Stütze und trotz aller Sorgen für sie da. Ist der Selbstwert erstmal im Keller, braucht es eine ganze Zeit, ihn wieder aufzupäppeln. Was dem Mädchen half, waren feste Rituale im Familienleben, der Blick auf Gelingendes, neue Aufgaben, an denen das Mädchen wachsen konnte, und gezielte Nachhilfe. Es gilt also, genau dorthin zu schauen, wo Ihnen und Ihren Kindern Dinge gut gelingen und nicht darauf zu schauen, was alles gerade nicht klappt. Loben Sie das Bemühen Ihres Kindes und sehen Sie nicht nur das Ergebnis. Das stärkt den Selbstwert enorm.

Orientierung geben

Nichts ist mehr wie es mal war. Gerade in der aktuellen Pandemiesituation, wo das Ende noch nicht absehbar ist, fehlt uns Orientierung sehr. Wir alle wünschen uns, die Dinge mehr steuern zu können. Klappt das Mal eine Zeit lang nicht, sind wir verunsichert und beginnen zu zweifeln. Dies bindet sehr viel Energie und schadet der Gesundheit. Je weniger das Bedürfnis nach Orientierung befriedigt wird, desto mehr laufen wir Gefahr, Stress zu empfinden. Was für uns als Erwachsene gilt, hat besonders in Bezug auf unsere Kinder eine hohe Bedeutung. Strukturen fallen weg und Eltern sind verunsichert. In einer solchen Situation fangen viele Kinder an zu straucheln. Ein mir bekannter Fall ist ein Junge im Alter von 5 Jahren, der häufig unruhig durch die Kita rannte und häufig in Konflikte geriet. Er ließ sich immer nur kurz auf Spielangebote ein und war schnell ablenkbar. Was ihm Halt gab, waren feste Rituale und Aufgaben, bei denen er sich gebraucht fühlte. Er half beim Tisch decken und kümmerte sich rührend um kleinere Kinder. Mit der Zeit wurde er ruhiger und allgemein zufriedener. Aus diesem Beispiel kann man ableiten, dass es sich lohnt, für ihre Zukunft ein tragfähiges Gerüst für ihre Familie zu bauen. Etablieren sie z.B. feste Zeiten für Familienkonferenzen, gemeinsame Spieleabende, einen Tag des Lieblingsessens und geben Sie Ihren Kindern Aufgaben, die ihnen Orientierung geben. An altersgerechten Aufgaben können sie wachsen. Davon profitiert die ganze Familie. 

Mehr Lust empfinden

Jeder Mensch will Spaß haben und schmerzhafte und unangenehme Erfahrungen möglichst vermeiden. Sicher freuen sich die meisten Menschen mehr auf den Kinoabend als auf den Zahnarztbesuch. Wir alle müssen akzeptieren, dass Unlust zum Leben dazu gehört. Wir können jedoch einen aktiven Einfluss darauf nehmen, wie wir der Welt begegnen. Ich führe zurzeit ein Tagebuch, in das ich jeden Abend schreibe, was mir gut gelungen ist und für was ich dankbar bin. Gerade in Zeiten, wo es auch zwischen mir und meinem Sohn mal knirscht, hilft es mir, die positiven Erlebnisse mit ihm am Abend festzuhalten. Das hat schon häufig dazu geführt, dass Tage, die ich vorher als eher ungut eingeschätzt hätte, plötzlich einige gute Momente hatten. Vielleicht werden Sie jetzt sagen: „Aber es geht doch nicht immer nur darum, Spaß zu haben! Man muss sich doch auch mal überwinden und sich anstrengen.“ Absolut richtig. „There is no free lunch“ sagt man so schön. Alles kostet etwas und wir tun gut daran, unseren Kindern beizubringen, dass Lust und Unlust beide zum Leben dazu gehören. Es stärkt jedoch die Beziehung zu Ihrem Kind enorm, wenn Sie versuchen, auf die Fähigkeiten zu achten und diese fördern so oft es geht. Denn wenn uns Dinge gelingen, schöpfen wir Kraft und Zuversicht daraus und kommen besser durch Zeiten, in denen wir Steine aus dem Weg räumen müssen. Werden Sie zum Erforscher Ihres Kindes und schauen Sie genau hin was ihm Kraft gibt. Es sind oft die kleinen Erfolgserlebnisse, die uns motivieren weiter zu machen.

Bindung festigen

In der Bindungsforschung wurde sehr gut nachgewiesen, dass Vertrauen von Kindern in ihre Bezugspersonen maßgeblich im ersten Lebensjahr geprägt wird. Trotzdem ist es nie zu spät, die Bindung zum eigenen Kind zu festigen. Dafür müssen Sie die Beziehung aktiv gestalten. Der erste Schritt ist, die Beziehung genau anzuschauen und ehrlich zu bewerten. Deshalb stellen sie sich doch folgende Fragen: Lobe ich mein Kind regelmäßig? Nutze ich Strafen aus eigener Verzweiflung? Habe ich irrationale Annahmen, was mein Kind schon können muss? Kann ich Fehler vor meinem Kind zugeben? Bin ich bereit, mich als Elternteil zu entwickeln? Diese Fragen sind durchaus nicht einfach zu beantworten und es kann auch für Einzelne schmerzhaft sein, sich ihnen zu stellen. Schauen sie einfach welche Frage für sie passend ist. Vielleicht sind Ihre Kinder schon älter und in Ihnen ist vielleicht jetzt das Gefühl entstanden, sehr viel falsch gemacht zu haben. Das können Sie nicht mehr rückgängig machen, aber Sie können zu sich selber sagen, dass Sie alles immer so gut gemacht haben, wie Sie es konnten. Schauen sie auf das Heute und gehen Sie in das Zimmer Ihres Kindes und umarmen Sie es. Rufen Sie Ihre erwachsene Tochter oder Ihren Sohn an und sagen Sie ihnen, was Sie an ihnen schätzen und worauf Sie stolz sind. Und fangen Sie an, auf Ihre eigenen Grundbedürfnisse als Eltern zu achten. Das stabilisiert Sie selbst und macht Sie zu einem ausgeglichenen und angenehmen Beziehungspartner.

Wenn Sie die Ausdauer und das Interesse hatten, bis hierhin zu lesen, freut mich das sehr. Gerade im Moment ist es nicht einfach, die Beziehung zum eigenen Kind so zu gestalten, dass Konflikte gut gelöst werden. Durch die Schließung von Kitas und Schulen wurden Familien auf eine harte Probe gestellt. Doch ich kann Ihnen versichern, dass es sich lohnt, die Grundbedürfnisse in den Blick zu nehmen. Dann können Sie sich natürlich immer noch von der Fee wünschen, dass die Pandemie vorbei ist, werden aber als Familie gestärkt aus dieser Zeit hervorgehen.

Autor:
Dipl.-Päd. Moritz Stahl
Selbständiger Familien- und Elternberater
Tel: 0179 – 4694979
www.moritz-stahl.de

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