Adipositas bei Kindern und Jugendlichen
„Du bist zu dick!“ Hat das schon einmal ein Freund, ein Klassenkamerad oder sogar der Kinderarzt zu Ihrem Kind gesagt? Haben Sie sich selber schon Gedanken um das Gewicht Ihres Kindes gemacht?
In den letzten 40 Jahren hat die Rate von übergewichtigen oder adipösen Kindern in Deutschland rasant zugenommen, in Deutschland ist nach neuesten Erkenntnissen jedes sechste Kind übergewichtig. Bei den Erwachsenen in Deutschland sind ca. 2/3 der Männer und ca. die Hälfte der Frauen übergewichtig, ca. ein Viertel der Erwachsenen ist sogar adipös, auch dies mit einer deutlichen Zunahme in den letzten Jahrzehnten. In den USA und in Südamerika, aber auch in Neuseeland sind diese Zahlen noch höher, einige Wissenschaftler sprechen bereits von der „Volkskrankheit Adipositas“.
Schon für das Jahr 2003 entstanden dem Gesundheitssystem in Deutschland durch die Behandlung von Adipositas und deren Folgeerkrankungen Kosten in Höhe von ca. 13 Milliarden Euro, diese Kosten dürften aber durch die zunehmende Zahl der Erkrankten heute deutlich höher liegen.
Was ist denn überhaupt eine Adipositas? Wie definiert man sie?
Von Adipositas oder Übergewicht spricht man, wenn der Körperfettanteil zu hoch ist. Bei jeder Vorsorgeuntersuchung beim Kinderarzt wird Ihr Kind gemessen und gewogen, man bestimmt dann aus diesen Werten den Body-Mass-Index (BMI), indem man das Gewicht in Kilogramm durch die Größe in Metern zum Quadrat teilt (BMI = kg/m2).
Für die BMI-Werte gibt es dann sogenannte Perzentilen-Kurven, mit denen man sein Kind mit dem Altersdurchschnitt aller Jungen oder Mädchen vergleichen kann. Liegt das Kind mit seinem BMI über der 90. Perzentile, spricht man von Übergewicht, bei einem BMI über der 97. Perzentile von Adipositas und über der 99,5. Perzentile von extremer Adipositas. Die 90. Perzentile bedeutet dann zum Beispiel, dass 10% der Jungen oder Mädchen in diesem Alter einen höheren und 90% einen niedrigeren BMI haben.
Aber warum ist Übergewicht denn so schlimm?
Übergewicht kann diverse Folgeerkrankungen nach sich ziehen, so können zum Beispiel die Gelenke durch die erhöhte Gewichtsbelastung schneller verschleißen, Kinder mit Übergewicht haben häufiger Atemwegsprobleme (wie zum Beispiel eine Bronchitis) und es kann eine Fettleber entstehen.
Außerdem ist Übergewicht eine häufige Ursache und ein Anzeichen des sogenannten „Metabolischen Syndroms“ mit zusätzlich Diabetes mellitus Typ 2 („Zuckerkrankheit“), deren Häufigkeit bei Kindern und Jugendlichen vor allem in den USA und Südamerika, aber auch in Deutschland parallel zur Häufigkeit der Adipositas rasant zunimmt. Bluthochdruck, der zu Herz-/Kreislauferkrankungen wie Herzinfarkten und Schlaganfällen führen kann und einer Fettstoffwechselstörung mit erhöhten Blutfetten.
Diese Erkrankungen verlaufen für die Patienten überwiegend unbemerkt und führen somit nicht unbedingt dazu, einen Arzt aufzusuchen. Leider bestehen auch oft soziale Probleme. Übergewichtige Kinder werden aufgrund ihrer Figur oft gehänselt und sind körperlich nicht so leistungsfähig. Übergewichtige Menschen werden fälschlicherweise oft als willensschwach, antriebslos oder faul angesehen.
Woher kommt denn eine Adipositas?
In seltenen Fällen (unter 1%) findet sich eine Störung des Hormonhaushalts oder eine genetische Erkrankung als Ursache für Adipositas bei Kindern und Jugendlichen. Diese hormonellen Erkrankungen können zum Beispiel eine Unterfunktion der Schilddrüse („Hypothyreose“), ein Wachstumshormonmangel oder hormonproduzierende Tumoren sein, die sich durch Blutentnahmen und weitere Maßnahmen herausfinden und behandeln lassen. Meistens sind diese Erkrankungen mit einem Kleinwuchs der Kinder verbunden.
Die häufigste vererbbare Erkrankung, die mit Übergewicht einhergeht, ist das sog. Prader-Willi-Syndrom, bei dem ein Defekt des Chromosom 15 vorliegt und das bei ca. 1 : 10.000 – 15.000 Kindern vorkommt Es gibt aber noch viele weitere Genveränderungen, die auch zu Übergewicht führen. Sollte bei Ihrem Kind also Übergewicht vorliegen, sollten Sie Kontakt zu Ihrem Kinderarzt aufnehmen, der alle nötigen Untersuchungen veranlasst, um solche Erkrankungen auszuschließen.
Auch andere Lebensfaktoren wie Stress, Schlafmangel, Depressionen und bestimmte Medikamente (zum Beispiel Cortison und Medikamente gegen Depressionen und Epilepsien) können zu Übergewicht führen.
Die allerhäufigste Ursache eines Übergewichts bei Kindern und Jugendlichen ist jedoch der Lebensstil in der Familie mit
- zu wenig Bewegung/Sport,
- zu viel Bildschirmkonsum (Fernsehen, Spielekonsole, Handy) und
- einer zu fett- und zuckerhaltigen Ernährung.
- Die Aufnahme der mit der Nahrung aufgenommenen Kalorien übersteigt in diesem Fall den Verbrauch.
Und was kann man dagegen tun?
Eine gesunde Ernährung sollte aus Nahrungsmitteln bestehen, die zu bestimmten Anteilen aus Kohlenhydraten („Zucker“, circa 55%), Eiweißen (circa 35%) und Fett (circa 15%) bestehen.
Es wird empfohlen, mindestens 5 Portionen (je „eine Handvoll“) Obst und Gemüse am Tag zu essen, höchstens zwei- bis dreimal pro Woche Fleisch und ein- bis zweimal pro Woche Fisch.
Süßigkeiten und stark fett- und zuckerhaltige Lebensmittel, also Schokolade, Chips, Pizza, Fastfood, Döner oder Süßgetränke (Cola, zuckerhaltige Saftgetränke) sollten die absolute Ausnahme bleiben.
Wenn bei Ihrem Kind oder auch bei Ihnen ein Übergewicht besteht, sollte die Ernährung grundlegend umgestellt werden, um langfristig einen Gewichtsverlust zu erreichen und das gewünschte Gewicht dann auch zu halten.
Die Diäten, die zu einem schnellen Gewichtsverlust führen, haben häufig keinen langfristigen Effekt (sog. „Jojo-Effekt“), weil die Ernährung nach Ende der Diät wieder nach alten Gewohnheiten erfolgt.
Es gibt für Kinder und Jugendliche viele Programme zur Gewichtsabnahme, zum Beispiel werden Kuren zum Thema Gewichtsabnahme und gesunde Ernährung angeboten, für nähere Informationen fragen Sie Ihre Krankenkasse oder Ihren Kinderarzt.
Auch die Tagesklinik der Kinderklinik des UKSH Lübeck bietet Kurse für übergewichtige Kinder und Jugendliche an. Außerdem kann man sich im Internet informieren, unter anderem auf der Seite der Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter (AGA) und der Seite der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ).
Außerdem wird an vielen verschiedenen Standorten in Schleswig-Holstein das Programm „ZIMT“ (Zentrum für interdisziplinäre modulare Trainingsprogramme“) verwirklicht, in dem Kinder und Jugendliche in wöchentlichen Kleingruppen über ein Jahr auf gesunde Art und Weise Gewicht abnehmen können. Ganz neu ist das von der Landesregierung geförderte Programm „HEUREKA“, das sich ebenfalls an übergewichtige Kinder und Jugendliche richtet.
Tipps für Kinder und Jugendliche mit Übergewicht für den Alltag
- Mache täglich Sport, am besten mit Freunden und im Freien. Benutze die Treppe statt Aufzug oder Fahrstuhl.
- Sei so wenig wie möglich vor dem Bildschirm (Spielkonsole, Fernseher, Handy).
- Trinke Wasser oder ungesüßten Tee statt Säfte, Cola oder Limonade.
- Iss dich zu den Hauptmahlzeiten satt, am besten mit Gemüse, Salat und Obst. Iss bei Fleisch, Wurst und Milchprodukten fettarme Produkte (z.B. Geflügel).
- Wenn dich der Heißhunger packt, trinke erst ein großes Glas Wasser. Wenn du dann immer noch Hunger hast, iss am besten Obst oder Gemüse.
- Iss nicht vor dem Fernseher oder Bildschirm, sondern mit Genuss am Tisch.
- Nasche maximal einmal täglich, am besten nach einer Mahlzeit.
- Fast Food solltest du höchstens einmal im Monat essen und dafür eine andere Mahlzeit weglassen.
- Und sei nicht frustriert, wenn du dass alles mal nicht schaffst – es ist wirklich schwer, alle diese Tipps zu befolgen. Der nächste Tag wird besser! Und sei sehr stolz auf jeden Tag, an dem du deine Ziele erreichst!
Autor:
Dr. med. Stefan Nissen
verheiratet, drei Töchter
Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin
Rathausmarkt 2b, 23617 Stockelsdorf