Was uns unser Baby mit seinen Tränen sagen will

Das Erleben elterlicher Hilflosigkeit, wenn das eigene Kind mit lang anhaltender Unruhe und Schreien reagiert, sorgt dafür, dass häufig phantasievoll neue Strategien und Umgangsweisen gesucht werden, um dem Ausdruck des Kindes möglichst schnell Abhilfe zu schaffen. Das ist ganz natürlich, denn selbstverständlich wollen Eltern an dieser Stelle dafür sorgen, dass es ihrem Baby schnell wieder gut geht. Doch was will uns unser Baby mit seinen Tränen sagen? 
Die Sprache der Babys.

Die Möglichkeit eines kleinen Menschen zu Beginn seines Lebens zu kommunizieren, ist zunächst nur sehr beschränkt möglich. Durch seine Gesichtsmimik kann es auf ein gefühltes Unwohlsein aufmerksam machen. Durch strampelnde Bewegungen kann es auf Frustration oder Ungeduld hinweisen und durch Quengeln, als Vorstufe des Schreiens, beschreibt es mit Hilfe seiner Stimme seine innere Gefühlslage und macht seine Eltern dabei auf das aufmerksam, dass ihm etwas für sein Wohlbefinden fehlt. Das Schreien und Weinen eines Babys ist also Teil einer umfassenden Ausdrucksprache, die einem Baby ermöglicht, von seiner aktuellen Gefühlslage und seinen Bedürfnissen zu erzählen. Folglich enthält jedes Weinen eine Botschaft, die es für seine Eltern zu entschlüsseln und verlässlich zu beantworten gilt. 

Die verschiedenen Formen des Weinens

So lernen Eltern und ihre Kinder sich recht schnell einander zu verstehen und vor allem zwischen den unterschiedlichen Schreiarten, die auf Hunger, Müdigkeit, Überreizung oder Schmerz hindeuten, zu unterscheiden. Sobald das Bedürfnis erfüllt wird, kann sich das Kind auch beruhigen. Dieses sogenannte Weinen zum Hinweis auf unerfüllte Bedürfnisse wird ergänzt durch das Erinnerungs- sowie das Resonanzweinen. Weint ein Baby aufgrund gewisser Erinnerungen an überwältigenden Stress und oder Schmerz, können herausfordernde Geburtserlebnisse, plötzliche Trennungen nach der Geburt aber auch pränatale Erfahrungen unter Hochstress in der Schwangerschaft Auslöser des plötzlichen Weinens sein. Beim Resonanzweinen erlebt ein Baby die nicht gelebten Gefühle seiner Eltern als seine eigenen. Eine angespannte Atmosphäre, Unwohlsein der Eltern, unterdrückter Ärger oder Schwierigkeiten in der Partnerschaft, aber auch elterliche Erlebnisse und/oder traumatische Erfahrungen in Folge von Ängsten oder Unsicherheiten werden durch das Schreien des Babys an die Oberfläche befördert. 

Vermeidung ungeliebter Emotionen

Kurzfristig scheinen Strategien, die auf Ablenkung abzielen, augenscheinlich erfolgreich und das Baby stoppt seine Emotion i.d.R. sehr schnell z.B. durch die Bewegung in der Federwiege, Lichtprojektionen oder den lauten Fön. Das Prinzip ist einfach. Die Spannungsreaktion verdrängt das Bedürfnis durch die Ablenkung auf den anderen Sinneskanälen. Jedoch kommt der ursprüngliche Stress an der Stelle zurück, an der die Ablenkung aufhört. An dieser Stelle beginnt das Ausdrucksschreien dann von Neuem. Das echte dahinter liegende Bedürfnis nach Nähe, Verbindung und Geborgenheit bleibt bei der vermeidenden Begleitung von Emotionen jedoch verkannt und unerfüllt. Was ein Kind braucht, je nach Ursache seines Weinens, um entsprechend seiner Bedürfnisse sowie bindungsorientiert begleitet zu sein, möchte ich an einem kleinen Beispiel deutlich machen:

Stellen Sie sich vor, Sie kommen nach einem Streit mit Ihrer besten Freundin nach Hause. Sie sind traurig über die Hintergründe, enttäuscht und erschöpft vom Tag. Ihr Partner öffnet Ihnen die Tür. Sie werden von Ihren Gefühlen übermannt. Ihr Partner führt Sie eilig ins Wohnzimmer und meint: „Alles ist gut, nimm erst einmal einen Schluck Kaffee, iss den leckeren Kuchen, genieß deine Lieblingsserie und dann sieht die Welt schon wieder anders aus. Beruhig dich und vergiss die Freundin, du hast auch noch andere gute Freundinnen.“ Das Verhalten Ihres Partners lässt Sie verstört reagieren. Sie fühlen sich weder in Ihrer Sorge verstanden, noch haben Sie das Gefühl, dass Ihr Partner Ihr Gefühl aushalten kann. Ablenkung ist nicht das, was wir an dieser Stelle brauchen. Wir wollen gesehen, gehört und ernst genommen werden und jemanden Vertrautes in der schwierigen Gefühlslage an unserer Seite wissen. 

Ein Baby, das keine Möglichkeit hat, seine Geschichte hinter seinen Emotionen zu erzählen, fühlt sich ebenso wie Sie im Beispiel: Nicht in seiner Not wahrgenommen. Durch die Ablenkung lernt und spürt es, dass sein Gefühl „nicht richtig“ ist für die Situation, die beweint wird, und merkt gleichzeitig, dass sein Weinen bei seinem Gegenüber für Stress und Unsicherheit sorgt. Hat ein Baby durch entsprechende Interaktionsmuster kennengelernt, dass es von gewissen Emotionen immer wieder abgelenkt und sein legitimes Unwohlsein nicht zugelassen wird, lernt es, dass es beim Fühlen seiner Befindlichkeiten keine verbindende, nähegebende Rückmeldung seiner Bezugspersonen erfährt. Die angebotenen Ablenkungsstrategien wie z.B. die Beruhigung durch den Fön, werden zu Ersatzbedürfnissen in Situationen, in denen sich Ihr Baby unwohl fühlt und ein Teufelskreis beginnt. 

Was braucht mein Baby, wenn es weint?

Sie können sich an dieser Stelle entlasten. Die Lösung ist dabei nicht, das Weinen Ihres Baby durch äußere Impulse schnellstmöglich stoppen zu wollen. Sie und Ihre Aufmerksamkeit sind Ihrem Baby genug. Es braucht Sie als sicheres Gegenüber die ihm einen Rahmen gibt, in dem es von seiner Not erzählen kann, gesehen und gehört wird. Bindung kann nur durch verlässliche Beziehungsangebote von Elternseite entstehen. Notwendig für die emotionale Begleitung ist das echte Verständnis für den Ausdruck der Gefühle Ihres Kindes. Sie als Eltern können Ihrem Baby dann helfen, seine Gefühle in Bezug zu setzen. Dafür muss es wissen, dass Sie seine Gefühle wahrnehmen. Ermutigen Sie Ihr Baby durch eine sichere Haltung, durch eindeutige Signale und übernehmen Sie die Führung in der Begleitung der Situation. Durch Ihre Begleitung als Leuchtturm führen Sie Ihr Baby durch den Sturm seiner Emotionen zurück in den sicheren Hafen. Mit so viel Hilfe, Zeit und Raum wie nötig – allein durch Ihre echte Verbindung. 

Autorin:
Annika Gallinger
Als Schlafcoach für Kleinkinder und Säuglinge begleite ich Eltern und ihre Kinder auf ihrem Weg zu erholsamen Nächten. Immer im Fokus – das bedürfnis-/ bindungsorientierte
Begleiten von Veränderungen.
www.schlafcoaching-hamburg.de

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