Sozialarbeit in Zeiten von Corona

Den Shutdown wegen der Corona-Pandemie haben wir mehr oder weniger alle gemerkt. Mittlerweile sind zwar wieder die Geschäfte auf und Restaurants, Cafes, Museen und Zoos dürfen wieder Besucher empfangen. Auch Schulen und Kindergärten starten moderat mit den Öffnungen.

In den letzten Monaten hat man allerdings wenig darüber gehört, wie die Sozialarbeit unter den Maßnahmen gelitten hat. Wie stark waren die Freien Träger in Lübeck in ihrer Arbeit betroffen? Konnten sie ihre Arbeit überhaupt wahrnehmen? Wie sieht die Zukunft aus? Was wird sich ändern, was hat sich schon geändert? 

Dieser Frage wollten wir nachgehen und haben dafür Ende Mai ein Interview mit dem Geschäftsführer Julius Schorpp des 1989 gegründeten gemeinnützigen Vereins Sprungtuch e.V. geführt, der freier Träger der Jugendhilfe in Lübeck ist. Der Verein ist aktiv in der Kinder, Jugend- und Eingliederungshilfe sowie in der Schulsozialarbeit. Außerdem unterhält er in eigener Trägerschaft das Familienzentrum BunteKuh mit integrierter bilingualer Kita, sowie das Bildungshaus Lauerholz, mit Kita, Schulkindbetreuung und Schulbegleitung im Rahmen des I-Pools (Inklusion). Mehr als 180 pädagogische Fachkräfte arbeiten im Verein, wobei rund 30% zweisprachig sind, so dass Beratungen in türkischer, kurdischer, arabischer, polnischer, russischer, englischer und deutscher Sprache angeboten werden können.

Herr Schorpp, zu den Aufgaben, die Sie im Rahmen der Jugendhilfe in
Lübeck wahrnehmen, gehört u.a. die Sozialpädagogische Familienhilfe. Dabei gehen Ihre Mitarbeiter direkt in die Familien, um Hilfestellung zu geben. Auch viele andere Angebote wie soziale Gruppenarbeit, Erziehungsbeistandschaften oder Begleiteter Umgang zwischen Eltern und Kindern bei Trennungen sind auf Nähe zu den Menschen angewiesen. Welche Angebote konnten Sie aufrecht erhalten? Oder besser, wie haben Sie Kontakt zu Ihren Kunden in dieser Zeit gehalten.

Natürlich war auch bei uns zu Beginn der Corona-Krise und dem erfolgten „Shut down“ zunächst eine große Verunsicherung, in welchem Umfang wir unsere Arbeit weiter führen können. Nach Rücksprache mit den jeweiligen Ämtern der Hansestadt Lübeck haben wir ein Hygienekonzept erarbeitet und konnten dann schnell wieder mit der Sozialpädagogischen Familienhilfe beginnen. Dies auch Dank unserer Mitarbeiter, die sehr kreativ mit der neuen Situation umgegangen sind und den Kontakt zu den Familien in dieser schwierigen Zeit nicht haben abreißen lassen. Bei erhöhtem Unterstützungsbedarf musste die Kontaktsperre nicht eingehalten werden, so dass wir zum Teil direkt in den Familien weiter arbeiten konnten, natürlich unter Einhaltung der Abstandsregeln, Mund-Nasen-Schutz und entsprechender Hygiene. Einige Familien erhielten auch Hilfen per Video, man schrieb sich Briefe, ect … unsere Mitarbeiter hatten da sehr viele Ideen und konnten die Familien weiterhin gut unterstützen. Das ganze war natürlich nur deshalb möglich, da wir im Rahmen der Kulanzregelung des Landes von der Hansestadt Lübeck weiterhin die vereinbarten Gelder erhielten. Auch der Begleitete Umgang bei Treffen von Eltern mit ihren Kindern in Trennungssituationen findet seit einiger Zeit wieder statt. Dadurch mussten wir auch keinen Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken.

Worunter leiden Ihre Kunden/Klienten momentan am meisten? 

Im Grunde haben unsere Kunden die selben Probleme wie alle anderen. Jeder musste sich erst einmal mit der neuen Situation auseinandersetzen. Auf einmal waren die Kinder den ganzen Tag zu Hause; die Außen- und Sozialkontakte brachen weg. Vielen fiel es schwer, sich neu zu orientieren. Durch die Schließung der Schulen und Kindergärten, das Kontaktverbot mit den Großeltern, Freizeitangebote wie Sportvereine etc. konnten nicht mehr wahrgenommen werden, waren viele unterstützende Maßnahmen von einem Tag auf den anderen weggebrochen. Dadurch war der Druck natürlich entsprechend groß. 

Sie sind Träger von drei Kindertagesstätten. Eine davon ist die eingruppige Kita Immengarten, die im August geschlossen werden soll, da die vorgeschriebenen räumlichen Standards dort nicht umgesetzt werden können. Findet dort momentan noch eine Notbetreuung statt?

Ja, bis zum 1. August haben wir dort noch geöffnet und momentan werden dort auch noch Kinder betreut. Genauso wie in unseren anderen Kitas in BunteKuh und im Bildungshaus Lauerholz.

Im Rahmen des Bildungshauses Lauerholz, haben Sie einen neuen Kindergarten gebaut, der im August eingeweiht werden sollte. Wie ist da der Fahrplan? 

Wir werden auf jeden Fall im August die neue Kita eröffnen. In vier Gruppen können zu Normalzeiten 60 Kinder betreut werden. Darunter auch I-Kinder, wobei wir einen Schwerpunkt auf Seh- und Höreinschränkungen legen werden. Die Einweihungsfeierlichkeiten werden wir zu einem späteren Zeitplan nachholen.

Im Bildungshaus Lauerholz bieten Sie auch die Schulkindbetreuung für die Schule Lauerholz an. Wie ist dort die momentane Situation? 

Zu normalen Zeiten betreuen wir hier nachmittags bis zu 220 Kinder. Aktuell erhalten dort 40 Kinder eine Notbetreuung bis 16 Uhr, mit steigender Tendenz. Die Betreuung am Vormittag wird durch die Schule gewährleistet. Während der Krise hat sich die Zusammenarbeit zwischen uns und der Schule sehr positiv entwickelt. Wir haben festgestellt, dass wir uns gegenseitig brauchen und hoffen, dass die Kooperation auch nach Corona so weiter geht.

Wie ist die Situation in der bilingualen Kita BunteKuh, die im dortigen Familienzentrum integriert ist? Wie viele Kinder werden dort momentan betreut und in welchen Phasen soll der Regelbetrieb wiederaufgenommen werden? 

Wie schon erwähnt findet auch in unserer Kita im Familienzentrum BunteKuh eine Notbetreuung statt. Zur Zeit sind es drei Gruppen, die in der nächsten Zeit erweitert werden. Wir verfahren entsprechend des Phasenmodels der Landesregierung und werden ab dem 1. Juni in den Eingeschränkten Regelbetrieb Stufe 2 eintreten und dann je Gruppe 15 Kinder betreuen. Das entspricht dann einer Auslastung von ca. 75%. Geplant ist ab dem 22. Juni wieder den Regelbetrieb aufzunehmen. 

Wie arbeitet das Familienzentrum in dieser Ausnahmesituation?

Im Familienzentrum fanden seit Mitte März keine Gruppenveranstaltungen mehr statt. Wir waren aber weiterhin für die Familien des Stadtteils zu erreichen und haben viele Einzelkontakte wahrgenommen und telefonische Beratung durchgeführt. Momentan arbeiten wir an einem Öffnungskonzept.

Wahrscheinlich werden die Kontaktbeschränkungen noch eine Weile anhalten. Auf jeden Fall wird uns das Abstandsgebot und die Maskenpflicht noch eine ganze Weile erhalten bleiben. Bis in Schulen und Kindergärten wieder Regelbetrieb herrscht und auch die Schulkindbetreuung wieder im vollen Umfang möglich ist, wird es noch eine ganze Zeit dauern. Was glauben Sie wäre für Familien hilfreich, um sie in dieser Zeit zu unterstützen. 

Die Eltern brauchen endlich eine verlässliche Aussage, wie lange diese Betreuungssituation für sie noch anhält. Gerade für Eltern, die neben der Betreuung auch noch zu Hause im Homeoffice arbeiten, wird diese Situation immer schwieriger. Viele haben durch die Situation auch finanzielle Einbußen, da sie unbezahlten Urlaub nehmen mussten oder ihre Stundenzahl reduziert haben.   

Corona zeigt uns in vielen Bereichen die Fehler, die in der Vergangenheit gemacht wurden. Können Sie sich vorstellen, dass nach Corona vielleicht einiges besser werden wird? Wenn Sie sich was wünschen dürften, was wäre das.

Wir haben in den letzten Monaten die Erfahrung gemacht, dass Absprachen mit der Hansestadt Lübeck unbürokratisch und schnell getroffen werden konnten und von gegenseitigem Vertrauen geprägt war. Auch die Zusammenarbeit mit den anderen Freien Trägern war sehr konstruktiv und vertrauensvoll. Es hat auch gezeigt, wie wichtig unsere Arbeit ist und dass auch unsere Mitarbeiter systemrelevant und unverzichtbar sind. Ich würde mir wünschen, dass die sozialpädagogische Arbeit, die in unserer Gesellschaft geleistet wird, einen anderen Stellenwert erfährt und entsprechend mehr Unterstützung erhält. 

Vielen Dank für das Gespräch Herr Schorpp.

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