Rituale – Warum sie für Kinder so wichtig sind

Rituale kennt jeder. Es gibt sie in jeder Familie. Wenn ich jeden Tag eine Kerze anzünde, ist das schon ein Ritual oder nur eine Gewohnheit?


Wo liegt der Unterschied zwischen einem Ritual und einer Gewohnheit?

Im Gegensatz zur Gewohnheit, steckt in einem Ritual immer etwas Besonderes, oft Feierliches und emotional Anrührendes. Das Anzünden der Geburtstagskerze wird zu einem Ritual, weil ein besonderer Sinnzusammenhang damit verbunden ist.

Rituale geben Orientierung

Rituale haben auffällig häufig ihren Platz in Übergangssituationen. So sind Ehe, Geburt und Tod klassische Übergangssituationen, die durch Rituale begleitet oder gar definiert werden. Rituale ermöglichen Orientierung in belasteten Situationen, nämlich zu wissen, was zu tun ist. Die Beerdigungs- oder Hochzeitsriten bestimmen, wie diese Übergänge zu gestalten sind. Rituale machen ein reibungsloses Zusammenleben überhaupt erst möglich. Sie ermöglichen es, komplexe soziale Situationen formal durchzuführen und sich komplizierte Entscheidungen zu ersparen. Rituale geben also Sicherheit. Anders ausgedrückt, man weiß sich in problembeladenen Situationen zu verhalten, man weiß dann, was eben richtig ist.

Die Unterschiedlichkeit der Rituale lässt sich beispielsweise sehr leicht an der Begrüßung von Menschen ablesen. Franzosen geben Küsschen, Deutsche schütteln die Hände, Engländer halten small talk über das Wetter. Liebende, die sich küssen, bevor sie einschlafen, tun dies, ohne sich über die tiefere Bedeutung ihres Tuns im Klaren zu sein. Sie würden diesen Kuss erst dann schmerzlich vermissen, wenn dieser Akt vergessen oder gar absichtlich verweigert würde. Rituale haben darüber hinaus die Wirkung, dass man sich bei aller Veränderung und Variabilität des Lebens an festen Dingen orientieren kann.

Die Bedeutung von Ritualen für Kinder

Wen verwundert es, dass vor allem die Kleinkinderziehung voll von Ritualen ist. Kindergärten sind quasi die Tempel der Rituale. Fast alle täglichen Bereiche sind ritualisiert: Tagesablauf, Tischsitten, Spiele, Verabschiedung und Begrüßung. Aber auch die unterschiedlichen Jahrestage und Jahreszeiten, wie Geburtstagsfeier der Kinder, die Begehung der Jahrestage oder die Würdigung von Jahreszeiten, sind mit Ritualen gespickt. Eine große Bedeutung hat das Begrüßungsritual. Denn dieses vermittelt den Kindern, dass es jetzt beginnt und sie dazugehören. Das ist wichtig für das Gefühl von Zugehörigkeit.

Rituale in der Familie

Bei Übungen und Untersuchungen zeigt sich, dass auch das Erlernen von sinnlosen Abläufen durch Rituale den Lernprozess beschleunigt. Kinder führen komplizierte Handlungsabläufe, deren Sinn sich ihnen nicht erschließt, sehr viel leichter aus, wenn diese als Ritual verpackt daherkommen, als Inszenierung mit Anfang und Ende.

Beispiel: „Wollen wir mal so langsam ins Bett gehen?“ So sollte man eine Frage nicht stellen, denn man muss dann immer mit zwei verschiedenen Antworten rechnen. Wenn Sie also von Ihrem Kind kein Nein hören wollen, sollten Sie auch nicht fragen. Deutlich leichter wird die Sache, wenn Sie ein Ritual entwickeln, dass jeden Abend beim Zubettgehen abläuft. Gut wäre es, wenn Sie Ihr Kind beispielsweise vorwarnen und ihm sagen: „In 10 Minuten geht es ins Bett.“ Das Kind kann sich dann auf die veränderte Situation, sich von dem zu verabschieden, was es gerade tut, viel leichter einstellen.

Sie vermeiden damit, in Verhandlungen mit Ihrem Kind treten zu müssen, denn das Kind wird natürlich den Versuch machen, diese Entscheidung hinauszuzögern. Darüber hinaus ist es von Vorteil, wenn dieser, für Kinder unerfreuliche Prozess, sich zur Nacht zu begeben, mit angenehmen Ritualen verbunden wird. Dazu könnten zum Beispiel kuscheln, vorlesen, ein Lied singen oder andere erfreuliche Aktionen gehören. Gegebenenfalls könnte es sich als Vorteil erweisen, wenn Vater und Mutter unterschiedliche Rituale nutzen. Kinder haben an Väter und Mütter unterschiedliche Interessen und Erwartungen, die, wenn sie erfüllt werden, es leichter machen, sich von dem heutigen Tag zu verabschieden.

Beispiel: Das Zähneputzen. Man kann Kindern natürlich erklären, dass das Putzen der Zähne von großer gesundheitlicher Bedeutung ist, aber sehr viel leichter wird der Lernprozess, wenn man diesen simplen Vorgang als Ritual inszeniert. Ein mit verstellter Stimme angekündigter Wechsel des Aufenthaltsorts oder die Inanspruchnahme von rituellen Gegenständen (Zahnbürste, Zahnpasta und Kuscheltier) helfen dem Kind bei dem Feldzug gegen Karius und Baktus. Schon hat der Vorgang für das Kind einen tieferen Sinn und eine Regelmäßigkeit. Es lernt, dass diese Tätigkeit zu einem wiederkehrenden Teil des Tagesablaufs gehört und nicht mehr hinterfragt werden muss. Am Ende noch ein handfestes Lob: „Prima gemacht“ oder „erfolgreicher Feldzug gelungen“, schon ist diese Prozedur nach kurzer Übung ein unerlässlicher Gegenstand der Tagesroutine.

Im Laufe der Zeit werden Sie feststellen, dass der Einsatz von Ritualen die Erziehung von Kindern erheblich erleichtert. Allerdings benötigt man dafür etwas Zeit, denn Kinder und Eltern müssen sich daran gewöhnen, bestimmte Abläufe zu ritualisieren.

Das schaffen Rituale
– sie erleichtern das Lernen und die Konzentration
– sie fördern die Selbstständigkeit
– durch Rituale werden Regeln und Grenzen gesetzt
– sie schaffen Ordnung und helfen, Krisen zu bewältigen
– sie geben Halt und schenken Geborgenheit
– Rituale reduzieren Ängste
– sie schaffen Identität, erklären, wer dazugehört und wer nicht

Unser Buchtipp:

Starke Rituale – Starke Familie

Die besten Ideen für gemeinsame Erlebnisse und ein liebevolles Miteinander
Dr. Olivia Wartha und Dr. Susanne Kobel, Gesundheitswissenschaftlerinnen und Mütter, geben in ihrem Buch hilfreiche Tipps, wie man mit Ritualen Konflikte vermindert und die Bindung zwischen Eltern und Kind gestärkt wird. Neben Familienritualen, die viel Spaß und Freude bereiten und Kinder und Eltern enger zusammenbringen, werden auch Anti-Stress-Rituale vorgestellt, die bei ganz konkreten Herausforderungen und Problemen eingesetzt werden können. Man muss diesen Ratgeber nicht von vorne bis hinten durchlesen. Schon beim Blättern kann man sich durch Erlebnisideen für Familienrituale inspirieren lassen. Im hinteren Teil des Buches findet man für konkrete Stresssituationen ein passendes Anti-Stress-Ritual, das helfen kann, das Familienleben zu entspannen.

Humboldt-Verlag, ISBN: 978-3-8426-1708-7, € 20,00

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