Kann man Intelligenz steigern? Ist sie angeboren oder können wir sie fördern?
IQ-Messungen an ein- und zweieiigen Zwillingen haben bewiesen, dass die Intelligenzunterschiede zu ca. 50 Prozent genetisch bedingt sind. Die andere Hälfte wird von den wichtigsten Bezugspersonen bestimmt. Der Lernerfolg Ihrer Kinder hängt also von vielen Umweltfaktoren ab.
Was ist Intelligenz eigentlich? Und wie wird sie gemessen?
Der französische Jurist und Psychologe Alfred Binet erhielt zusammen mit dem Arzt Théodore Simon 1904 vom französischen Unterrichtsministerium den Auftrag einen Test zu entwickeln, um die geistigen Fähigkeiten eines Kindes messen zu können. Der Test bestand aus unterschiedlichsten Aufgaben, verschiedenster Bereiche, die nach Altersgruppen gestaffelt waren. So wie in den Anfängen gibt das Ergebnis auch heutiger Intelligenztests Informationen über den Entwicklungsstand eines Kindes oder Jugendlichen. Die Tests setzen sich aus unterschiedlichen Teilbereichen zusammen, wie logisches Schlussfolgern, Rechnen, räumliches Vorstellungsvermögen, Sprachverständnis und Merkfähigkeit. Ist er im Vergleich zu seinen Gleichaltrigen eher voraus, entwicklungsverzögert oder liegt er im Mittel. Der Intelligenztest setzt das individuelle Ergebnis mit Hilfe des Intelligenzquotienten (IQ) ins Verhältnis zur Allgemeinheit. 50 Prozent der Menschen haben einen IQ zwischen 90 bis 110. Nur 2,5 Prozent liegen über 130 und gelten als hochbegabt. Intelligenz wird dabei verstanden als Fähigkeit, aus Erfahrung zu lernen, Probleme zu lösen und Wissen einzusetzen, um sich flexibel an neue Situationen anzupassen.
Ist Fleiß wichtiger als Talent?
Und da habe ich für alle Eltern eine beruhigende Nachricht: „Kinder können ihre Intelligenz steigern“, sagt der Psychologe Aljoscha Neubauer von der Universität Graz. Ihre Kinder erwerben durch das tägliche „Lernen“ in Schule und Elternhaus täglich neues Wissen, Denkfähigkeiten, Fertigkeiten und Flexibilität sich an neue Anforderungen anzupassen. Und auch Sie, liebe Eltern, können noch im Erwachsenenalter Neues lernen, wie eine Sprache, ein Instrument oder eine Sportart. Man kann nicht intelligenter werden, ist ein weit verbreiteter Glaubenssatz, der uns ausbremst.
Lewis Terman, der Erfinder des Stanford-Intelligenztests verfolgte über Jahrzehnte die Entwicklung besonders erfolgreicher Studenten und stellte fest: Intelligenz wird zuweilen überschätzt. Fleiß hat oft die größere Auswirkung auf den Erfolg. Aber Fleiß hat bei uns kein Ansehen. In zahlreichen Elternberatungsgesprächen beklagen sich die Eltern über die Faulheit ihrer Kinder: „Mein Kind ist eigentlich ziemlich schlau, aber er macht nicht viel daraus und jetzt kommt er im Unterricht nicht mehr mit.“ Daher mein Appell an Sie: Schaffen Sie die Voraussetzungen für einen optimalen Lernerfolg.
Kann man Intelligenz essen?
„Die jüngste Forschung hat immer deutlicher herausgearbeitet, welchen immensen Einfluss Ernährung, Schlaf und Bewegung auf die Intelligenz nehmen“, sagt der Gedächtnisforscher Siegfried Lehrl. Einen IQ von 130 können Sie sich leider nicht anfuttern. Aber Sie können dafür sorgen, dass sich die Leistungsfähigkeit Ihrer Kinder verbessert. Denn unser Gehirn verbraucht mehr Energie als jedes andere Organ. „Wer geistig fit bleiben will, sollte unbedingt frühstücken“, rät der Intelligenzforscher. Schüler, die frühstücken, bringen höhere Gedächtnisleistungen, sind schneller und können die Aufmerksamkeit länger halten. Eine walisische Studie bestätigt, dass ein vollwertiges Frühstück die Wahrscheinlichkeit überdurchschnittlicher Leistungen verdoppelt. „Wer ohne Frühstück in die Schule geht, das Frühstück womöglich durch Fernsehen ersetzt, der verhält sich so, wie derjenige, der sich vor einem Wettlauf ins Knie schießt“, formuliert der Gehirnforscher Manfred Spitzer.
Allerdings kommt es nicht nur darauf an, dass Kinder überhaupt etwas essen, sondern auch darauf, was sie zu sich nehmen. Gezuckertes Müsli oder ein Weißbrot mit Nutella bewirken, dass der Glukosespiegel zwar zunächst rasant ansteigt, jedoch genauso schnell wieder fällt.
Trinken ist ebenfalls wichtig, weil das Gehirn viel Flüssigkeit braucht: „Etwa zweieinhalb Liter täglich sind optimal“, sagt Lehrl. Am besten geeignet sind zuckerreduzierte Getränke wie Wasser oder Schorle. Beim Kauf von Wasser empfehle ich auf einen erhöhten Lithium-Gehalt zu achten. 10mg pro Tag wäre eine optimale Ergänzung zu vitaminreichen Mahlzeiten. Amerikanische Studien belegen, dass Lithium stimmungsaufhellend wirkt und die Intelligenzkraft, Wachheit und schnelles Denken fördert. Wir nehmen mit unserem Essen aber höchstens 1mg zu uns.
Bisher dachte man, dass das Verdauungssystem und das Immunsystem im Gehirn zwei völlig separate Systeme sind. Neuste Forschungen aus Freiburg zeigen, dass die richtigen Bakterien im Darm nicht nur für ein allgemeines Wohlbefinden verantwortlich sind, sondern auch die Immunabwehr im Gehirn beeinflussen. Eine ausgewogene Ernährung ist also nicht nur wichtig für die körperliche, sondern auch für die geistige Gesundheit.
Sport an der Wii oder Musik hören?
Wer sein Gleichgewicht nicht gut halten kann, hat nachweislich schlechtere IQ-Werte. „Allein beim Zähneputzen erst auf dem einen, dann auf dem anderen Bein zu balancieren, trägt zur Verbesserung bei“, empfiehlt Lehrl. In meiner Praxis sehe ich täglich, welchen ungeahnten Effekt so einfache Überkreuz- oder Ballübungen haben. Bewegung ist Nahrung für das Gehirn und das Tor zum Lernen. Wenn Kinder sich bewegen, verbessert sich nicht nur ihre Körperhaltung, auch das Gehirn ist besser durchblutet.
Bewegung ist Grundlage für die Entwicklung von Selbstständigkeit und Selbstvertrauen, für Organisationsfähigkeit, Impulskontrolle und Frustrationsschwelle. Studien belegen, dass Bewegung die korrekte Raum-Lage-Wahrnehmung bildet, die Konzentrationsfähigkeit deutlich steigert und somit die Motivation am Lernen weckt. Also fahren Sie ihr Kind morgens nicht mit dem Auto bis vor die Schultür.
Beim Sport werden bestimmte Hirnareale angesprochen, die mit dem Arbeitsgedächtnis korrespondieren, einem wichtigen Zwischenspeicher für Informationen. Auch das Spielen eines Instrumentes fördert die Konzentrationsleistung, die Koordinationsfähigkeit und das Sozialverhalten. Dieser Effekt tritt natürlich beim Abspielen der Musik vom iPod oder beim Spielen an der Wii und am Computer nicht ein.
Warum reduzierte Smartphone-Nutzung wichtig ist?
Der Gehirnforscher Manfred Spitzer belegt, dass bei Kindern und Jugendlichen mit stundenlangem Medienkonsum die Lern- und Gedächtnisleistung und Konzentrationsfähigkeit drastisch vermindert wird. Informationen überlagern sich völlig ungefiltert und wichtiger Schulstoff wird nicht in das Langzeitgedächtnis überführt. Auch Kinderärzte und Krankenkassen warnen vor den gesundheitlichen Schäden. Die Folgen durch exzessive Nutzung sind Bewegungsmangel, Aufmerksamkeitsstörungen, Lese- Rechtschreibschwäche, Sprachauffälligkeiten und Schlafstörungen und –mangel.
Einer der wichtigsten Faktoren für erfolgreiches Lernen ist ausreihend Schlaf. Im Schlaf „lernt“ das Gehirn. Es sortiert und ordnet Eindrücke und Informationen des Tages bereits existierendem Wissen zu. Das funktioniert wie ein voller Briefkasten, der am Abend geleert wird und die Briefe werden im Schlaf in die entsprechenden Ordner abgelegt, bearbeitet und beantwortet.
Wird das Gehirn nicht regelmäßig mit gehirnwichtigen Nährstoffen versorgt und der Körper durch Bewegung mit Sauerstoff fit gehalten, sterben vermehrt Nervenzellen ab und wir denken langsamer und das Erinnerungsvermögen wird eingeschränkt. Jeder von uns besteht aus 100 Billionen Zellen. Zehnmal mehr, als die Erde Einwohner hat. Jahr für Jahr tauschen wir 90% unserer Zellen wieder aus. Unser Körper ist also ein Wunderwerk in einer Art Dauerrenovierung. Wir müssen diese Zellen bei Laune halten.
Sie haben es in der Hand, die entscheidenden Weichen zu stellen. Sie und die wichtigsten Bezugspersonen entscheiden, wohin die Reise geht, um das Potenzial ihrer Kinder bestmöglich zu entfalten. Denn Lernerfolg beginnt zuhause.
Autorin:
Claudia Boeden
Lerntherapeutin, Lehrerin
Mutter von zwei Söhnen
TalentEntwicklung
Institut für Lernerfolge
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