Jedes Baby weint! Wann ist es zu viel und was ist noch normal?
Für frisch gebackene Eltern gibt es kaum etwas Schlimmeres, als ein weinendes Baby. Jedes Baby weint, und häufig lassen sie sich relativ einfach beruhigen. Sie brauchen etwas zu trinken, haben eine volle Windel, wollen Geborgenheit und Zuneigung der Eltern oder haben Schmerzen, z.B. durch Blähungen. Aber immer wieder gibt es Babys, bei denen diese Zustände ausgeschlossen sind und die dennoch weinen. Für viele Eltern gestalten sich die ersten Wochen und Monate mit ihrem Neugeborenen anders, als sie es sich in der Schwangerschaft erhofft und erträumt haben. Die Eltern-Kind-Beziehung, die nach der Geburt weiter reifen und auf einer guten Basis stehen sollte, wird durch das permanente Schreien und die eigene Überforderung mit dieser Situation schwer belastet.
In der medizinischen Fachliteratur tauchen Definitionen für sog. „Schreibabys“ auf, die sich mit der Dauer (z.B. länger als 3 Stunden am Tag, mehr als 3 Tage die Woche für mindestens 3 Wochen) beschäftigen. Meiner Meinung nach sind Definitionen aber relativ unwichtig, ist es doch viel wichtiger, wie es den Eltern mit dieser Situation geht, denn es kommt schnell zu einem gefährlichen Teufelskreis: das nicht zu tröstende Baby führt zu Erschöpfung und Enttäuschung bei den Eltern, dadurch schreit es mehr und wird untröstlich.
Andere Umschreibungen bezeichnen mit dem Wort „Regulationsstörung“ eine der möglichen Ursachen: dem Neugeborenen fällt es schwer, seine Bedürfnisse zu regulieren. Das Kind kann nicht gut in den Schlaf finden, bei Hunger nicht schnell genug gefüttert werden, Trostversuche der Eltern nicht entsprechend wahrnehmen und sich beruhigen. Häufig wird z.B. versucht, das Baby durch viel Bewegung und Aktion abzulenken. Dadurch kommt das Kind noch weniger zur Ruhe und wird immer müder. Im übermüdeten Zustand fällt das Einschlafen noch schwerer und es kommt zum weiteren Schreien. Gefährlich wird es, wenn Eltern nicht mehr können und in ihrer Verzweiflung womöglich das Baby schütteln, um es ruhig zu stellen. Das Schütteln kann das Leben des Babys gefährden oder zu schweren Behinderungen führen.
Die Ursachen für das Schreien können also vielfältig sein. Körperliche Gründe, die aber insgesamt nur einen kleinen Anteil ausmachen, sollten vom Kinderarzt ausgeschlossen werden. So kann z.B. eine Kuhmilcheiweißallergie, aber auch eine Mittelohrentzündung vorliegen. Auch eine Verspannung der Wirbelsäule (insbesondere der Halswirbelsäule) oder des Beckens kann ein vermehrtes Schreien verursachen.
Was können Sie tun?
Als Familie sollte man zunächst darauf achten, dass das Baby viel Ruhe bekommt, möglichst einen festen Rhythmus vorgegeben und somit nach kurzen Wachphasen immer wieder die Möglichkeit zum Schlafen bekommt. Andernfalls schafft das Kind es möglicherweise nicht, sich zu beruhigen und sein Bedürfnis nach Schlaf selbst zur regulieren. Häufig helfen die Ruhe der Eltern, abgedunkelte Räume, leise Musik oder Singen der Eltern. Es sollten feste Abläufe wie z.B. nach dem Aufwachen füttern, dann Kuscheln und Spielen und in den ersten Wochen bereits nach 1-2 Stunden erneutes Schlafen legen etabliert werden. Kritische Stunden, wie sehr oft in den Abendstunden, sind möglicherweise durch Spaziergänge mit dem Kinderwagen abzumildern.
Besonders hilfreich sind oft Großeltern oder Freunde, die die Betreuung des Kindes für eine kurze Auszeit der Eltern übernehmen können. Denn ausgeruhte Eltern sind oft auch gestärkte Eltern. Gestärkte Eltern können ein schreiendes Baby sehr viel besser begleiten und häufig gibt es einen Durchbruch im Teufelskreis von erschöpften Eltern und übererregtem Kind, die sich gegenseitig immer weiter hochschaukeln.
Wo kann ich eine Unterstützung erhalten?
In Lübeck gibt es diverse Hilfsangebote, die Eltern größtenteils kostenlos zur Verfügung stehen. Sowohl die Hebammen kennen sich mit diesem Themenbereich aus und haben hilfreiche Tipps parat, aber auch die Frühen Hilfen mit ihren drei Anlaufstellen in Lübeck (Innenstadt, Kücknitz und Moisling) oder die Schwangerenberatungsstelle im Beratungszentrum Hüxterdamm sind hilfreiche Adressen für Eltern mit Schreibabys. Bei diesen Anlaufstellen gibt es Fachleute, die sich intensiv mit den Regulationsstörungen von Babys auseinander setzen und den Familien wertvolle Tipps zur Verbesserung der angespannten Situation anbieten können. Sollte die Mutter sich traurig und verzweifelt fühlen, könnte es sich auch um eine Wochenbettdepression handeln. Sowohl Kinderärzte als auch Frauenärzte haben hierfür ein offenes Ohr und könnten hilfreiche Wege aufzeichnen.
Diese Zeilen sollen Ihnen helfen, das Verhalten Ihres Kindes zu verstehen und einzuordnen. Suchen Sie offen das Gespräch mit Hebammen oder Kinderarzt. Zögern Sie also nicht, sich zu diesem Thema jederzeit Hilfe zu holen!
Autorin
Dr. med. Anne Knopp, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin,
Gemeinschaftspraxis mit Frau Dr. med. Kathrin Ott,
Moltkestr. 2a, 23564 Lübeck, Mutter von zwei Kindern.