Digitale Medien in der Schule

Welche Bedeutung Digitale Medien in der Schule haben können, berichtet Michael Cordes, Schulleiter der Stadtschule Travemünde.

Digitale Medien in der Schule, gar in der Grundschule? Viele Eltern kämpfen mit ihren Kindern um digitale Nutzungszeiten und vor allen Dingen digitale Inhalte. Sind Fortnite, brawl stars oder ähnliches wirklich eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung? Und in diesem Spannungsfeld taucht dann Schule auf und möchte digitale Medien auch noch am Vormittag nutzen. 
Die Nutzung digitaler Medien im häuslichen Umfeld unterscheidet sich deutlich von den Möglichkeiten, die wir in der Schule finden können. Gerade in der Grundschule bieten digitale Medien Möglichkeiten, die es ohne sie in der Schule bisher nicht gab. Hierbei stehen insbesondere zwei Dinge ausdrücklich nicht im Mittelpunkt: Internetrecherche und Textproduktion.
Ein Buch und das Schreiben mit der Hand sind Werte, die es aus verschiedensten Gründen in der Schule zu erhalten gilt. Nichtsdestotrotz gibt es drei entscheidende Argumente für den Einsatz digitaler Medien in der Grundschule:

Die gesellschaftliche Entwicklung

In unserer Zeit sind digitale Medien überall. In jedem Supermarkt, in nahezu jedem Handwerksberuf und auch bei den Entsorgungsbetrieben sind digitale Medien im Einsatz. Die Digitalität ist omnipräsent in der Berufswelt. Aber: Nicht nur in der Berufswelt. Unsere Kinder und Jugendlichen sind massiv den sozialen Medien ausgesetzt. Es mag ein Ansatz sein zu sagen, dass die verschiedenen Anbieter wie WhatsApp, Snapchat, Instagram, usw. in ihren AGBs ausweisen, dass die Nutzer ein bestimmtes Mindestalter (meist 16 Jahre) haben müssen. Gelebte Realität gerade für Jugendliche in der Sekundarstufe ist aber, dass sehr viel Kommunikation unter den Kindern in WhatsApp Gruppen stattfindet. Wer dort nicht Mitglied ist, ist de facto sozial isoliert. Mittlerweile erstreckt sich der soziale Druck aber noch deutlich weiter: Instagram sollte schon sein, Snapchat für wahre Freundschaften gehört zum guten Ton und wer wirklich angesagt sein will macht TikTok Videos. Der Medienkonsum der Erwachsenen hilft da nicht wirklich weiter, den häufig sind wir Großen ein schlechtes Vorbild. Gehen wir ehrlich in uns, so würde es den meisten Erwachsenen auch gut tun, ihr Digital Verhalten zu überdenken. Hier sei besonders der Verzicht auf „digitale Anwesenheit“ während der Mahlzeiten, während des Auto Fahrens und während wir uns mit unseren Kindern unterhalten sollten genannt.Fazit dieses ersten Punktes: Das Lernen des Umgangs mit digitalen Medien ist heute mehr als nur eine Möglichkeit eines späteren Berufs. Es ist Teil der Sozialisierung junger Menschen geworden.

Die Pubertät

Das Kinder früher in die Pubertät kommen, ist sicherlich kein Geheimnis. Schon in den vierten Klassen meiner Schule pubertiert es zum Ende des Schuljahres gewaltig! Ich glaube aber auch beobachten zu können, dass Jugendliche länger in der Pubertät bleiben als noch vor 20 Jahren. Eines der für die Bildung der jungen Menschen im Bereich des Werteempfindens wichtigen Merkmale der Pubertät ist nun, dass sich in diesem Zeitraum die zentrale Bezugsgruppe der Jugendlichen ändert. Vor Eintritt in die Pubertät sind die Eltern, Lehrer und anderen erwachsenen Bezugspersonen die zentrale Referenz was u.a. richtiges Verhalten anbelangt. In der Pubertät ändert sich diese Bezugsgruppe hin zu den Peers, also den Gleichaltrigen. Bedenkt man die Ausstattung junger Menschen mit Smartphones (die JIM Studie postuliert nahezu Vollausstattung der Jugendlichen ab 13 Jahre) braucht man sich in Bezug auf den verantwortungsvollen Umgang mit digitalen Medien keinen Illusionen hinzugeben: Der Zug ist in der Sekundarstufe abgefahren.

Die didaktischen Möglichkeiten

Mit digitalen Medien kann man bedeutend mehr tun, als nur im Internet zu surfen und Texte schreiben. Beginnend mit der Verwendung simpler fachspezifischer Applikationen über Mindmap und andere Anwendungen zum Bewahren von Wissen (Video und Fotobearbeitung zum Beispiel) bis hin zu hoch kreativen Nutzungsmöglichkeiten digitaler Medien in der Schule eröffnet sich eine neue Welt der Didaktik, auf die wir vorher keinen Zugriff hatten. Hier nur drei kurze Beispiele:

  1. Im Mathematikunterricht haben wir Würfelnetze behandelt. Die Kinder haben hierzu ein Erklärvideo gedreht, in dem sie im Augmented Reality Modus einer Würfelnetz App virtuell einen Würfel in ihrer Hand halten, den sie live aufklappen, um das Prinzip des Würfelnetzes zu erklären. Diese Unterrichtssituation ereignete sich vor ca. 4 Monaten an meiner Schule. Vor zwei Wochen besuchten uns Lehrer und die Schüler holten eines ihrer Klassen iPads, um dem Besuch das Ergebnis dieser Unterrichtseinheit zu präsentieren. Hierbei konnten sie nahezu all das vermittelte Wissen über Würfel und Würfelnetze wieder abrufen. Ein bemerkenswerter Aspekt, wissen wir doch alle, dass im Regelfall der vermittelte Stoff in Schülergehirnen wie in einem schwarzen Loch verschwindet sobald er an Relevanz für das akute Unterrichtsgeschehen verliert. Damit Lernen erfolgreich und nachhaltig sein kann, braucht es persönliche Bedeutung!
  2. Lesen und Schreiben lernen ist so ziemlich der langwierigste und schwierigste Lernprozess, den Kinder in unseren Schulen durchmachen müssen. Dabei können sie „nebenbei“ auch kaum etwas anderes machen, den für viele andere Prozesse muss man eben lesen und schreiben können. Möchte man etwas über Vulkane herausfinden, so liest man am Besten ein Buch über Vulkane und notiert sich die wesentlichen Erkenntnisse. Bis zur Mitte der dritten Klasse ist das nahezu unmöglich. Mit Hilfe eines Tablets kann sich ein Erstklässler Texte vorlesen lassen (die ihm natürlich die Lehrkraft zur Verfügung stellen muss) und sich per Diktierfunktion Notizen machen, die er sich in der Folgestunde wieder vorlesen lassen kann, ohne dass hierfür zwingend jemand gebraucht wird, der Lesen und Schreiben kann. Die unglaubliche Motivation, die Kinder für das Lernen in die Schule mitbringen kann so gepflegt werden, wenn sich der Schulalltag nicht nur um Lesen und Schreiben dreht.
  3. Wir alle Lernen, weil wir für unsere Lernerfolge gelobt werden wollen. Je älter wir werden, umso größer können die Abstände zwischen Anerkennungen werden und umso abstraktere Anerkennungen unserer Arbeit akzeptieren wir. Kinder aber, möchten eine schnelle und regelmäßige Rückmeldung haben. In der Klasse ist das ob der großen Schülerzahl nicht oder nur sehr schwer möglich. Ein tablet kann hier eine Hilfsfunktion übernehmen: Zum einen bieten viele Anwendungen ein direktes Lob nach durchgeführter Aufgabe an. Zum anderen können Arbeitsergebnisse auch sehr einfach konserviert werden und dem Lehrer digital abgegeben werden, der dann in der Nachbereitung der Stunde mit einem hohen Grad an Effizienz individuelle Rückmeldungen geben kann. Hier könnte man in mannigfaltiger Weise fortfahren und Effekte auf den inklusiven Unterricht, die kreativen Fächer, Programmieren in der Schule und seine Verbindung zum Mathematikunterricht, Green Screen und Stop Motion Produktionen u.v.m. beschreiben.

Ich möchte dringend darauf hinweisen, dass ich kein Verfechter von Kindern und jungen Jugendlichen in sozialen Medien bin. Im Gegenteil: Ich halte die derzeitige Entwicklung für fatal! Kinder mit 9/10 Jahren unkontrolliert in WhatsApp, Instagram und TikTok zu sehen stellt eine massive Überforderung ihrer sozialen Entwicklung dar und hat nicht nur in dem Moment negative Auswirkungen für unsere Kinder. Heutige Bewerbungen für gut dotierte Berufe beinhalten immer eine Überprüfung des Social media Hintergrundes und: Was einmal in die Weiten des Netzes gegangen ist, lässt sich nahezu nicht mehr entfernen. Ich stelle hier nur die von mir wahrgenommenen Realitäten dar. Die Verantwortung hierfür liegt ausschließlich bei uns Erwachsenen. Unsere Naivität im Umgang mit digitalen Medien und die rasante Entwicklung des Marktes, der unsere Gesellschaft nicht oder nur unzulänglich zu folgen in der Lage ist, ist Ursache für das, was wir in der Jugendkultur erleben.
Alles in Allem denke ich, dass der Bildungsauftrag zur Vermittlung digitalen Lernens klar und eindeutig in der Grundschule zu suchen ist. Wir müssen unseren Kindern zum einen helfen, sich in der digitalen Welt von heute und morgen sicher und verantwortlich bewegen zu können bevor diese sie vereinnahmt hat und zum anderen bieten digitale Medien Lehr und Lernmöglichkeiten ungeahnten Ausmaßes, die die klassischen Lehr und Lernformen nicht verdrängen sollten, sondern erweitern! Die derzeitig aufblühenden Tendenzen von Tabletklassen, die alles nur noch auf dem digitalen Gerät verrotten halte ich im Übrigen für genauso falsch, wie den totalen Verzicht auf den Einsatz digitaler Medien.

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