Spielen ist mehr als nur Vergnügen und Entspannung
Spielen ist ein (kindliches) Grundbedürfnis und für die kindliche Entwicklung so wichtig wie Schlafen, Essen und Trinken“, betont die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Schulkinder, die vom Kleinkindalter an sehr viel spielen durften, sind später meist stabiler und erfolgreicher.
In ihrem Buch „Rettet das Spiel!“ plädieren der Neurobiologe Prof. Dr. Gerald Hüther und der Philosoph Dr. Christoph Quarch für die Wiederentdeckung des Spielens. Im Spiel entfalten wir Menschen unsere Potenziale. Auch der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte betont die Bedeutung des Spielens für eine entsprechende Hirnreifung. Doch das Spielen ist zunehmend bedroht, vor allem durch die exzessive Nutzung digitaler Medien wie Fernsehen, Smartphones und suchterzeugender Online-Spiele. Diese digitale Welt beraubt unsere Kinder um wichtige analoge Erfahrungen. Beim Spielen läuft unser Gehirn zur Höchstform auf.
Warum spielen so wichtig ist!
Aus der Spielforschung ist schon lange bekannt, dass Kinder, die viel spielen, in den wichtigsten Kompetenzbereichen Verhaltensmerkmale und Fertigkeiten entwickeln, die sie auf die Anforderungen in der Schule und ihr gegenwärtiges und zukünftiges Leben vorbereiten.
Emotionale Kompetenz:
Kinder entwickeln beim Spielen den Umgang mit ihren eigenen Emotionen. Sie erleben und verarbeiten Enttäuschung und Wut, wenn sie ein Spiel verlieren, aber auch Stolz und Freude, wenn sie gewinnen. Sie lernen ihre Impulse zu kontrollieren, Frustration auszuhalten, werden belastbarer und ausdauernder.
Soziale Kompetenz:
Kinder und Jugendliche müssen sich je nach Spiel auf andere Mitspieler einstellen und mit ihnen kommunizieren. Sie erlernen Empathie, Geduld, Verständnis und Teamgeist. Plötzlich nehmen sie Ungerechtigkeiten und Vorurteile wahr, akzeptieren Regeln und knüpfen daraus Freundschaften.
Motorische Kompetenzen:
Zudem schulen viele Spiele die motorischen Fähigkeiten, die Auge-Hand-Koordination, die Körperwahrnehmung und die räumliche Wahrnehmung. Sie verlangen oft eine rasche Reaktionsfähigkeit und eine gute Körperbeherrschung. Abgesehen davon, dass viele Bewegungsspiele, insbesondere an frischer Luft, eine positive Wirkung auf den Körper und die Gesundheit unserer Kinder und Jugendlichen haben.
Kognitive Kompetenzen:
Hinzu kommt, dass jeder Mitspieler sich Spielregeln einprägen und Lösungswege flexibel überlegen muss. Es entwickelt sich das logische, planungsvolle Denken. Dabei muss die Aufmerksamkeit über einen längeren Zeitraum gehalten werden, was zu einer verbesserten Gedächtnisleistung führt.
Viele dieser Kompetenzen sind die Basis für einen differenzierten Wortschatz, ein besseres Mengen- und Zahlverständnis und somit wichtige Voraussetzungen für das Erlernen von Lesen, Schreiben und Rechnen. Aber vor allem, es fördert abwechslungsreich und unterhaltsam Kreativität.
Doch was genau sollten Kinder spielen?
Welche Spiele sind dazu geeignet, unsere spielerische Kreativität zu wecken und unsere Kompetenzen zu entwickeln? Das wissen die Kinder oft selbst am besten. Schon Babys verbringen die meiste Zeit mit Spielen und entdecken sich, ihren eigenen Körper und ihre Fähigkeiten: hören, greifen, schmecken und fühlen. Wie wichtig ist in dieser Phase Material zum Greifen, zum Heranziehen, zum Untersuchen. Ab dem zweiten Lebensalter beginnen Spiele mit Gegenständen, wie das Stapeln von Bauklötzen. Jetzt entwickelt sich die abstrakte Vorstellungskraft. Die Kleinen spielen mit einem Holzklotz, machen plötzlich ‚brum brum‘ und der Bauklotz wird in ihrer Phantasie zum Auto. Sie konstruieren ihre eigene kleine Welt.
Mit drei, vier Jahren verarbeiten sie in Rollenspielen, gerne mit Verkleidung, zusammen mit Freunden, was ihnen im Leben passiert. Sie spielen Mutter und Kind, Doktor, Polizist und Räuber oder Kaufmannsladen. Im Vorschulalter werden Gesellschaftsspiele mit klaren Spielregeln immer beliebter wie der Klassiker ‚Mensch ärgere dich nicht‘, ‚Uno Junior‘, Quartett oder Gedächtnis- und Merkspiele wie Memory, ‚Ich sehe was, was du nicht siehst‘ oder ‚Ich packe meinen Koffer‘. Mit Beginn der Schulzeit wollen sich Kinder gerne messen mit ernst zu nehmenden Wettkampfspielen. Sie wollen forschen, entdecken und Naturgesetze mit Experimenten ausprobieren.
Spielen kann man an Tischen, auf dem Boden oder im Freien: Wahrnehmungs- und Geschicklichkeitsspiele, Konstruktions- und Bauspiele, Strategiespiele, Brett- und Gesellschaftsspiele, Bewegungs- und Musikspiele, Interaktions- und Rollenspiele, auf dem Spielplatz, auf der Wiese oder im Wald. Denn Kinder nutzen zum Spielen am liebsten, was Ihnen im Alltag begegnet.
Konsequenzen für das Elternhaus
Zeigen Sie Interesse, wenn ihr Kind ihnen sein Bild, sein Bauwerk oder seine Höhle zeigt. Geben Sie ihm eine positive Rückmeldung. Dienen sie beim ‚Vater, Mutter, Kind‘ spielen oder der ‚Zirkusvorführung‘ als Mitspieler oder Publikum. Wichtig ist in erster Linie nicht die Dauer, sondern die Intensität mit der sie sich ihren Kindern zuwenden. Genießen Sie den kurzen intensiven Moment, lassen Sie das Smartphone einmal liegen. Nichts ist jetzt wichtiger!
Geben Sie Ihren Kindern Anlässe für neue Entdeckungen. Kinder lernen durch Ausprobieren und sie versuchen das, was sie bei Vater und Mutter sehen, nachzuahmen. Sie sind und bleiben sein wichtigstes Vorbild. Gehen Sie mit gutem Beispiel voran, zeigen sie sich fair, als guter Verlierer. Es geht beim Spielen aber nicht darum, Ihr Kind ständig gewinnen zu lassen, sondern darum, die Frustrationstoleranz und das Durchhaltevermögen ihres Kindes zu fördern.
Warum genau beeinflusst Spielen die kindliche Entwicklung?
Spielen ist für uns Menschen nicht überlebensnotwendig und scheint auf den ersten Blick ohne Sinn. Aber es ist ein angeborener Trieb, so wie Selbsterhaltung und Fortpflanzung. Es ist ein wichtiges Grundbedürfnis und hat einen höheren Sinn. Auch Tiere tun es, Hunde, Fohlen, Affen, Vögel. Sie trainieren Fähigkeiten, die sie später fürs Überleben brauchen.
Beim Spielen werden Botenstoffe wie Katecholamine (u.a. Dopamin, Adrenalin) und Opiate wie Endorphine frei gesetzt. Diese sind dafür zuständig, dass sich die Vernetzungen in unserem Gehirn erweitern und es reifen lassen. Das Herz, der Kreislauf und die Atmungsorgane werden trainiert, Muskeln, Knochen und Gelenke gefestigt und weiter entwickelt. Spielen mit Bewegung verhindert zudem Übergewicht und fördert den gesunden Schlaf.
Die Förderung vieler Kinder und Jugendlichen durch Klavierunterricht, Ballett- oder Reitstunden, Leistungstraining im Fußball- oder Handballverein sind für eine gesunde Entwicklung absolut wichtig. Neugierde, Phantasie und Eigeninitiative entwickeln sich aber vorwiegend im freien Spielen.
Ein Spielforscher stellte fest, dass Kinder mit Spieldefiziten sich zu sozialen Außenseitern entwickeln. Denn es fehlt die emotionale Intelligenz, der Umgang mit den eigenen Gefühlen und denen seiner Mitmenschen.
Entwicklungspsychologen gehen davon aus, dass Kinder bis zum Eintritt in die Schule für eine gesunde basale Entwicklung 15.000 Stunden gespielt haben müssen. Das entspricht ca. 7-8 Stunden pro Tag, somit ist Spielen bis dahin sozusagen ihr Beruf.
Spiel ist also keine reine Spielerei
Grundsätzlich bleibt jedoch immer weniger Zeit zum Spielen und die Spielfähigkeit von Kindern nimmt stetig ab. Gründe sind sicherlich die zunehmende Erwerbstätigkeit beider Elternteile oder der Alleinerziehenden, volle Terminkalender, aber vor allem die stets präsente attraktive Alternative digitaler Medien. Eine Umfrage des Spielzeugherstellers Lego unter 13.000 Eltern und Kindern zeigt einen Zusammenhang zwischen gemeinsamer Spielzeit in der Familie und der grundsätzlichen Zufriedenheit innerhalb der Familie auf. Denn beim Spielen wird allermeist auch viel gelacht.
Wir müssen unseren Kindern also diese Erfahrungen vielfältiger Spielformen ermöglichen, sie gemeinsam mit Ihnen erleben, um den Reichtum an Lernmöglichkeiten anzubieten. Spielen ist mehr als ein Freizeitvergnügen. Spielen stärkt die Kommunikation und durch das Teilen dieser schönen Momente den Zusammenhalt in der Familie und im Freundeskreis und das so ganz „nebenbei“ mit jeder Menge Spaß.
Autorin
Claudia Boeden, Lerntherapeutin M.A. & Lehrerin
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