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Buchtipp & Interview: ALLEINERZIEHENDE – solo, selbst & ständig

Ein Interview mit der Journalistin und Autorin Anne Dittmann verspricht Einblicke in ihr Buch solo, selbst und ständig. In ihrem Werk beschäftigt sich Dittmann einfühlsam und ermutigend mit den Herausforderungen, die eine Trennung mit Kind mit sich bringt. Sie bietet wertvolle Orientierung für Alleinerziehende und beleuchtet die Vorurteile sowie Benachteiligungen, die oft damit einhergehen.
Ihr Buch dient als kenntnisreiche Begleitung und ist angereichert mit persönlichen Erfahrungen sowie praktischem Input aus ihrer großen Community. Themen wie Trennung und Kümmern, Geld, Arbeit, Gesundheit, das Daten und die Liebe sowie das Leben als Alleinerziehende stehen im Fokus. Dittmann zeigt auf, welche individuellen und strukturellen Veränderungen notwendig sind, um das Leben von Alleinerziehenden zu erleichtern.

Kurzinterview mit Anne Dittmann
– zum Buch & Thema ALLEINERZIEHENDE

Lüttbecker: Was hat Sie dazu inspiriert, das Buch solo, selbst & ständig zu schreiben, und warum bezeichnen Sie es als ein Wut- und Mutmachbuch?

Als ich vor neun Jahren alleinerziehend geworden bin, gab es kein Buch, das mich in dieser neuen Lebenssituation wirklich auffangen, mir Orientierung und Zuversicht schenken konnte. Darum habe ich angefangen, auf Instagram über das Leben als Alleinerziehende zu schreiben, über schwere und gute Momente. Und weil ich damit offenbar sehr viele andere Alleinerziehende angesprochen habe, wuchs meine Community auf Instagram; wir tauschten Informationen aus, schickten uns virtuelle Umarmungen und schenkten einander das Verständnis, das wir offline vermisst haben. So ist mein Account über die Jahre zu einer lauten und starken Stimme für Alleinerziehende geworden und auch in meiner Arbeit als Journalistin schrieb ich immer öfter über das Thema. Ein Buch, in dem nicht nur meine Perspektive, sondern auch die von vielen anderen Alleinerziehenden geteilt werden, in dem wichtige Infos gebündelt werden und das klarmacht, dass Alleinerziehende, die strugglen keine Schuld haben und das sie bestärkt, war eigentlich nur die logische Konsequenz der Jahre zuvor. Aber den letzten Anstoß hatte mir unser ehemaliger Finanzminister Christian Lindner (FDP) gegeben, der behauptet hatte, dass Alleinerziehende zu wenig arbeiten würden. Das hatte mich so wütend gemacht, dass ich direkt losschreiben wollte. Darum sind Wut und Mut zwei wichtige Pfeiler für das Buch.

Welche Herausforderungen haben Sie persönlich als Alleinerziehende erlebt, die Sie dazu gebracht haben, die Bedürfnisse von Alleinerziehenden deutlicher zu formulieren?

Nach der Trennung gab es wahnsinnig viele Herausforderungen; da wäre zunächst die Scham. Habe ich einen Fehler gemacht? Mir den falschen Mann ausgesucht? Die Beziehung nicht richtig geführt? Als frisch getrennte Mutter habe ich erstmal den Fehler bei mir gesucht – was natürlich schlecht ist für den eigenen Selbstwert. Als hätte man nicht sowieso schon genug Baustellen. Heute weiß ich, dass alle Paare ihre Probleme haben, manche haben schwerwiegende, andere kleinere Probleme und manche von ihnen bleiben zusammen, andere nicht. Eine Trennung kann feige sein oder auch sehr stark und der beste Schritt, den man gehen kann. Wir sollten aufhören, Eltern für diesen Schritt abzuwerten und lieber anfangen, sie  zu unterstützen – das wäre auch für die Kinder das beste. Und wenn wir schon dabei sind: Getrennte Familien brauchen dringend mehr Geld und bessere Steuergesetze. Warum können nicht beide Eltern in die Steuerklasse 2 wechseln? Warum bekommen die Kinder getrennter Eltern nicht mehr Kindergeld? Die Kinder leben schließlich in zwei Haushalten, benötigen zwei Zimmer, doppelt Möbel, Kleidung, Spielzeug, Bücher. Kein Wunder, dass jede zweite getrennte Familie von Armut betroffen ist.

In Ihrem Buch geben Sie konkrete Schritte auf individueller und struktureller Ebene, um das Leben von Alleinerziehenden zu verbessern. Können Sie einige dieser Schritte kurz erläutern?

Wichtig ist schonmal, sich für das passende Betreuungsmodell zu entscheiden. Manche Eltern glauben, dass ein Kind zur Mutter gehört, und wählen das Residenzmodell (das Kind lebt überwiegend bei der Mutter und besucht den Vater regelmäßig). Andere Eltern glauben, dass ein Kind beide Eltern braucht, und wählen das Wechselmodell (das Kind pendelt alle paar Tage oder wöchentlich). Dahinter steckt viel ideologische Lobbyarbeit von gewissen Verbänden. Die Wahrheit ist, und dazu gibt es bereits erste Studien aus Deutschland, dass kein Modell besser ist als das andere. Wichtig ist, dass man sich am Kind und an seinen Erfahrungen orientiert: Hat sich Papa vor der Trennung mehr gekümmert als Mama oder umgekehrt? Was wünscht sich das Kind? Finden wir zwei Wohnungen in unmittelbarer Nähe, sodass das Kind sein soziales Umfeld nicht ständig wechseln muss? Und dann heißt es: ausprobieren, flexibel sein, mit dem Kind im Gespräch bleiben. Kinder getrennter Eltern können großartige soziale Kompetenzen entwickeln, wie Kompromissbereitschaft, bedürfnisorientierte Kommunikation, Kreativität, Verständnis – auch das zeigen Studien. Und dann hat eine Anfrage der Links-Fraktion im Bundestag gezeigt, dass nur 30 Prozent der Leistungsberechtigten, den Kinderzuschlag auch tatsächlich beziehen. Das Problem ist: Nach einer Trennung schickt das Jugendamt leider keine Liste mit Informationen, welche Leistungen den Eltern zustehen. Darum empfehle ich eine Beratung bei Alleinerziehendenverbänden wie dem VAMV.

Über Anne Dittmann und das Thema Alleinerziehende

Wie haben persönliche Erlebnisse und Rückmeldungen aus Ihrer Community auf Instagram Ihr Buch beeinflusst und geformt?

    Sie haben das Buch für vielfältige Lebensrealitäten geöffnet – dadurch gilt es bei Alleinerziehendenverbänden mittlerweile als das Standardwerk, was mich sehr ehrt. Zum Beispiel habe ich keine häusliche Gewalt erlebt, weiß aber, dass viele – vor allem – Mütter davon betroffen sind und sich deswegen trennen. Das Problem ist: Nach einer Trennung steigt für Frauen das Risiko, weitere Gewalt zu erleben, um ein Fünffaches. Sie werden immer noch nicht ausreichend geschützt – darum wurde glücklicherweise kürzlich das Gewalthilfegesetz verabschiedet, sodass wir in Deutschland für mehr Frauenhäuser sorgen. Aber nach einer Trennung mit Kind ist es mit dem Auszug nicht getan, denn der Ex hat weiterhin ein Sorge- und Umgangsrecht. Und eigentlich regelt die Istanbul Konvention, dass Gewalt an der Mutter auch Gewalt am Kind ist und Kinder entsprechend nach einer Trennung ebenfalls geschützt werden müssen, aber deutsche Gerichte haben sich in den vergangenen Jahren nicht an die Konvention gehalten und Kinder in den Kontakt zu gewalttätigen Vätern gezwungen. Dafür wurden wir 2022 vom Europarat gerügt. Ich habe als Journalistin einige solcher Fälle begleitet und über ein paar von ihnen berichtet – auch im Buch. Denn diese Missstände sollten dringend geändert werden.  

    Welche ersten Schritte empfehlen Sie Alleinerziehenden, um sich nach einer Trennung zu sortieren und nach vorne zu schauen?

    Schritt 1: Sich einer wohlwollenden, verständnisvollen Person anvertrauen, die einen unterstützt. Das können Freund*innen, Familienmitglieder oder die Alleinerziehende, die man aus der Kita kennt, sein. Schritt 2: Sich um Geld und Gesundheit kümmern. Also: Komme ich gut über die Runden und kann die Miete weiter zahlen oder brauche ich Sozialhilfe? Geht es mir wirklich gut oder bin ich in letzter Zeit strenger, schneller gereizt als sonst? Über doctolib oder die 116117 (Telefonnummer und Internet-Adresse in einem) findet man am ehesten einen Therapieplatz – auch für das Kind. Schritt 3: Netzwerk aus Alleinerziehenden aufbauen, zum Beispiel, indem man zu Veranstaltungen von Alleinerziehendenkoordinierungs- oder Beratungsstellen in der Nähe geht und dort Menschen in einer ähnlichen Lebenssituation findet. Schritt 4: Schöne Routinen mit dem Kind aufbauen, die einem Halt geben und gleichzeitig im Sinne des Mental Loads entlasten; etwa den Film-Freitag, den Döner-Dienstag, den Spielplatz-Sonntag, einen Speiseplan für zwei Wochen erstellen, der sich wiederholen kann, regelmäßige Spieldates mit anderen Kindern arrangieren, sodass man selbst mal zum Sport gehen oder auf der Couch liegen kann. Da sollten Alleinerziehende aber auch streng mit sich sein und nicht „mal eben schnell noch“ die Wäsche machen oder die Küche putzen.

    Wie machen Sie Alleinerziehenden Mut?

    Alleinerziehende wachsen durch all die neuen Herausforderungen automatisch über sich hinaus. Ich habe in den vergangenen Jahren vermutlich hunderte Alleinerziehende kennengelernt und manche von ihnen – meist diejenigen, die schon mehrere Jahre alleinerziehend gelebt hatten – haben mich durch ihre Lebenslust, ihre Power, ihr Selbstbewusstsein unglaublich beeindruckt. Diese Frauen wissen, wer sie sind und was sie können, denn sie haben unglaublich viel gewuppt, gemanaged, organisiert, geschraubt, gekämpft, erlebt, gebaut, getröstet, repariert und einfach trotzdem getan. Kurz: Sie sind kompetent und wissen aus Erfahrung, dass sie alles schaffen können, dass es immer Wege gibt, wenngleich sie manchmal versteckt sind. Wenn ich ein großes Unternehmen führen würde, dann würde ich mir Langzeitalleinerziehende ins Boot holen, denn die haben es drauf und auf sie ist Verlass. Und ich weiß, dass viele Unternehmen aufgrund des Fachkräftemangels so langsam umdenken, kreativ werden und sich auf andere Weise umsehen müssen – daher blicke ich sehr zuversichtlich in die Zukunft in Bezug auf Alleinerziehende.

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    Buch "solo, selbst und ständig"
    Kopf und Körper
    FairCare

    Anne Dittmann

    solo, selbst & ständig
    WAS ALLEINERZIEHENDE WIRKLICH BRAUCHEN

    Eine Trennung mit Kind ist eine enorme Herausforderung. Die Journalistin und Autorin Anne Dittmann kennt sich damit bestens aus und bietet einfühlsame und ermutigende Hilfestellungen. Sie holt Betroffene genau da ab, wo sie während oder nach einer Trennung stehen: mit all ihren Fragen, Unsicherheiten, Problemen und den gesellschaftlichen Vorurteilen sowie Benachteiligungen, die oft mit einer Trennung einhergehen. Anne Dittmann macht deutlich, was Alleinerziehende wirklich brauchen, und zeigt Schritt für Schritt auf, welche Veränderungen auf individueller und struktureller Ebene notwendig sind, um ihr Leben zu verbessern.

    In ihrem Wut- und Mutmachbuch bietet sie allen Allein- und Getrennterziehenden eine kenntnisreiche und faktenbasierte Begleitung, angereichert mit persönlichen Erfahrungen ihrer eigenen Trennung und wertvollen Beiträgen aus ihrer großen Community. Das Buch behandelt die Themen Trennung und Kümmern, Geld, Arbeit, Gesundheit, das Daten und die Liebe sowie das Träumen und Leben als Alleinerziehende.

    Dieses Buch verleiht Allein- und Getrennterziehenden eine starke Stimme, liefert konkrete Erste-Hilfe-Tipps, bietet die richtigen Ventile für Frustrationen und Ängste und spendet Trost sowie Bestärkung in einer neuen Lebensphase.


    Anne Dittmann, solo, selbst & ständig,
    Kösel, ISBN 978-3-466-31204-3, 18 € (D), 18,50 € (A), CHF 25,50*, PB,
    Klappenbroschüre, 240 Seiten, 2023

    »Ich habe gelacht, geweint und immer wieder gedacht: Dieses Buch ist eine Pflichtlektüre – nicht nur für Alleinerziehende!« Sara Buschmann, Gründerin von Solomütter

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    Wer mehr über Anne Dittmann erfahren möchte oder sich mit dem Thema Alleinerziehend auseinandersetzen möchte, findet wertvolle Tipps und Unterstützung auf ihrer Webseite.

    In Lübeck findet frau u.a. Unterstützung beim Frauenbüro der Hansestadt und bei der Familienbildungsstätte der Gemeinnützigen. Weitere Anlaufstellen finden sich hier.

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